Der große Einfluss

Januar 27, 2018


''Ich möchte mich bei allen Frauen entschuldigen, denen ich sagte, dass sie hübsch sind, bevor ich sie intelligent oder mutig genannt habe'', so schreibt die kanadische Autorin Rupi Kaur in ihrem 2014 erschienenen Bestseller ''Milk and Honey''. Und damit trifft sie den Nerv der Zeit. Noch immer wird von Frauen jeden Alters und egal an welcher Station ihres Lebens sie sich gerade befinden, erwartet, dass sie in erster Linie hübsch sind. Aber bitteschön nicht zu hübsch und auch nur so, dass es in unser selbstauferlegtes gesellschaftliches Raster passt. Eigentlich sollte man ja meinen, dass sich dieses Frauenbild so langsam einmal ändern sollte. Das tut es auch auch, denn schließlich wird uns der Feminismus aktuell wieder mit voller Wucht vor die Füße geknallt. Ob auf Kleidung der bekanntesten Fast-Fashion-Marken oder auch bei Luxuslabels wie Dior. Hier heißt es: ''We should all be feminists''. Verkörpert wird dieses Credo komischerweise nur von ranken, schlanken, jungen, weißen Models aus gutem Hause. Wo bleibt da die Diversität? Feminismus kann nicht bedeuten, einfach ein T-Shirt zu tragen und damit raus in die Welt zu marschieren. Das Problem liegt aber schon allein darin begründet, dass gerade via Social Media der Konkurrenzkampf zwischen Frauen noch mehr angeheizt wird und da geht's nun wirklich meistens ausschließlich um die Schönheit. Die sogenannten Influencer zeigen wie die tolle Frau von heute zu sein hat und was sie alles haben sollte, um ganz vorne mitzuspielen. Wer das nicht vorweisen kann, tja, der kann gleich nach Hause gehen. Dabei sind Oberflächlichkeiten doch nur etwas für Faule.

Die lieben Influencer sollen nichts anderes als beeinflussen, laut Berufsbezeichnung zumindest, aber wollen wir das überhaupt? Die Beeinflussung hat durchaus einen negativen Unterton. Das klingt mehr nach gedankenlosem Aufsaugen von Informationen, die dann, ob gut oder schlecht, in den Alltag oder die Lebensweise übernommen werden. Genau das sollte nicht passieren, denn exakt dann bleibt die Vielfalt auf der Strecke - und auch die eigene Identität. Natürlich hat aber auch die wieder etwas mit der Oberfläche zu tun, siehe Kleidung. Denn das ist üblicherweise das Erste, was uns an einem Menschen auffällt und uns dazu verleitet ein Schubladen-Urteil über eine Person zu fällen.

Identität und Kleidung hängen also stark zusammen; da kann es dann auch schon mal zur Identitätskrise kommen. So auch bei Leandra Medine, Bloggerin und Gründerin des Online-Magazins Man Repeller, das als kleiner Fashion Blog 2010 startete. In einem Podcast auf ihrer Website schildert sie unter dem Titel ''Outgrowing your Identity''; wie sie plötzlich nichts mehr in ihrem Kleiderschrank fand, was ihrer Identität entsprach. Hier ging es allerdings nicht darum, dass sich Medine unter dem großen Druck befand der Allgemeinheit zu gefallen, sondern viel mehr mit sich selbst im Reinen zu sein. Darauf beruht auch das Konzept von Man Repeller. ''Mode, die Frauen lieben und Männer hassen.'' So beschreibt Leandra Medine persönlich das, worum es ihr geht. Mit außerordentlich viel Witz und Selbstironie schreibt sie über alles Mögliche - vom allgemeinen Wahnsinn auf den Fashion Weeks bis hin zur Zusammenfassung der letzten Folge der amerikanischen Ausgabe der Bachelorette. Auch Leandra Medine wird gerne als Influencerin bezeichnet, aber hier wirkt es nicht so, als würde dem Leser eine bestimmte Meinung einfach so durch das Smartphone Display verklickert werden. Medine ist das beste Beispiel dafür, dass es die große Beeinflussung gar nicht braucht. Dass Frauen nämlich nicht unbedingt miteinander konkurrieren müssen und dass es vor allem nicht darum geht, sich dem großen Ganzen anzupassen.

Mit Stars wie Marlene Dietrich, Audrey Hepburn oder auch Jane Birkin, hatten Frauen schon in früheren Dekaden echte Vorbilder in Sachen Lebens- und Kleidungsstil. Aber lässt sich heute noch jemand als wirkliches Vorbild bezeichnen? Wie wäre es mit Angelina Jolie, Amal Clooney oder Victoria Beckham – sie scheinen immer perfekt gestylt und erfolgreich zu sein und schaffen es, Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Natürlich kann man nicht wirklich hinter die perfekte, glamouröse Fassade blicken. Trotz allem - oder vielleicht gerade deswegen- sollten wir einfach unsere eigenen Vorbilder werden, statt krampfhaft überall nach Authentizität, Individualität und Perfektion zu suchen. Denn es geht gar nicht darum, immer perfekt zu sein, es muss in Ordnung sein auch mal Gefühle oder Schwäche zu zeigen, ohne dass man sofort als launisch oder übersensibel abgestempelt wird.

Frauen dürfen gern sexy sein, oder eben nicht, ehrgeizig sein, Erfolg haben oder sich im Stillstand befinden und vor allem schließt das Hübschsein alles andere nicht unbedingt aus. Oder um es wieder mit den Worten von Rupi Kaur zu sagen: ''Von jetzt an werde ich Dinge sagen wie, du bist belastbar oder außergewöhnlich, nicht weil ich nicht denke, dass du hübsch bist, sondern weil du viel mehr bist als das.''

Influencer und Stilikonen damals und heute: Audrey Hepburn, Jane Birkin & Leandra Medine


Bildquellen:

Titelbild: Leandra Medine © Flickr
Bilder aus Collage: Audrey Hepburn © Flickr
                             Jane Birkin © Flickr
                             Leandra Medine © Flickr
                       
                         
                         

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2 Kommentare

  1. Mal ein anderer Blickwinkel - toll, dass ihr das Thema aufgreift. Bin großer Fan von Leandra.

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    1. Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Toll, dass dir der Artikel gefällt. Wir finden Leandra auch super :)


      Liebe Grüße,
      Lisa

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